VOGELWILD - Die unentdeckten Gemächer der Königin Christina
Vogelwild - Die unentdeckten Gemächer der Königin Christina
© Patricia Lambertus Die überregional angesehene Künstlerin Patricia Lambertus ist für ihre großen bildgewaltigen Rauminstallationen bekannt. Ihre Rauminszenierungen bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen Fiktion und Realität sowie zwischen Schönheit und Zerstörung. Auch das Thema Gewalt und Macht spielen dabei eine Rolle.
Die 1970 in Kempten/Allgäu geborene Künstlerin studierte Kunst in Ottersberg und Bremen, war Meisterschülerin bei Karin Kneffel und Gaststudentin bei Katharina Grosse. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen und zeigte ihre Arbeiten in der ganzen Bundesrepublik sowie in den USA, in Syrien, der Schweiz und Südafrika. Heute lebt und arbeitet Patricia Lambertus in Bremen und Berlin.
Gerne inszeniert sie ihre Kunst in alten oder historischen Gebäuden, in Kirchen und Schlössern. Für die Städtische Galerie im Königin-Christinen-Haus hat sie eine neue ortsspezifische Arbeit entwickelt, wobei die gesamten Galerieräume mit Bildertapeten verhängt werden. Inhaltlich setzt sie sich hier mit der schillernden Persönlichkeit der Königin Christina von Schweden sowie mit der Geschichte des Hauses und der Ortschaft Zeven auseinander.
„Für meine Arbeit ist es besonders wichtig historisch-gesellschaftliche Ereignisse und ihre Zusammenhänge sowie ihre Relevanz und Resonanz in der Gegenwart aufzuspüren und bildnerisch umzusetzen“, sagt Patricia Lambertus. Brüche, Risse und Schnittstellen wecken dabei ihr besonderes Interesse.
Entstanden ist eine riesige Bildercollage, die sich durch alle vier Kabinettsräume der Städtischen Galerie erstreckt.
Den ersten Raum könnte man als das „Tapetenzimmer“ bezeichnen und führt die Besucher in gewisser Weise in Patricia Lambertus künstlerische Arbeitsweise ein:
Die ursprüngliche Schönheit des tapezierten Raumes wurde durch Ablösen und Herunterreißen zerstört. Gleichzeitig zeigt sich der Reiz der Vergänglichkeit mit einer eigenen Ästhetik. Der zerstörerische Akt der „Decollage“ legt verschiedene Zeit-Schichten frei und überrascht mit dem Sichtbarwerden alter dekorativer Muster und Ornamente. Schönes und Hässliches überlappen sich und bilden mit Rissen und Überklebungen einen vielschichtigen Raum.
Die nächsten drei Galerieräume sind ganzheitlich mit einer digital erstellten Bildercollage auf Tapete verhängt, die sich mit Werden und Vergehen, Krieg und Frieden, Schönheit und Hässlichkeit sowie mit der Geschichte Zevens, des Hauses und ihrer prominenten Namensgeberin beschäftigt.
Nach Ende des 30jährigen Krieges (1648) waren die Herzogtümer Bremen und Verden an Schweden gefallen. Zeven, damals „Kloster Zeven“, wurde Besitz der schwedischen Krone. In dieser Zeit um 1650, wurde das Königin-Christinen-Haus als schwedisches Amts- und Gästehaus erbaut. Wie der Volksmund überlieferte hat die Königin auf ein oder zwei ihrer vielfachen Reisen hier in diesem Hause genächtigt.
Die schillernde Persönlichkeit Königin Christina von Schweden hat nach dem frühen Tod ihres Vaters Gustav Adolf bereits als Kind den Thron besteigen müssen. Sie war hoch begabt und gebildet und maßgeblich am Westfälischen Frieden und damit am Ende des 30jährigen Krieges beteiligt. Gleichzeitig war sie in vielerlei Hinsicht unangepasst, auch im Aussehen, in der Kleidung und ihrem Benehmen und tat, was ihr beliebte. Eine Gesandte Frankreichs schilderte sie wie folgt: „Sie trug meist bizarre Kleidung und Männerschuhe und ihr Kopf war von einer unmöglichen Frisur umgeben“. Außerdem wurde berichtet, dass sie fluchte und in Sesseln lümmelte, wobei sie ihre Beine von der Lehne herunter baumeln ließ. Ausgerechnet im reformierten Schweden konvertierte sie zum Katholizismus, verzichtete auf den Thron und zog nach Rom, wo sie nach ihrem Tod 1689 im Petersdom beigesetzt wurde.
Wild, „Vogelwild“ und unkonventionell entrollt sich nun über drei Räume des Königin-Christinen-Hauses ein barockes Bilderpanorama, welches gleichzeitig auch eine Geschichtscollage ist, allerdings ohne Zeitabfolge oder irgendeine feste Logik. Überall können wir Ersatzstücke aus der Geschichte entdecken oder mögliche Parallelen zur heutigen Zeit. Innerhalb dieser Bilderflut von Reellem und Fiktivem verwundert es nicht, z.B. den Zevener Heimatforscher Hans Müller-Brauel zu entdecken, der passenderweise sitzend in sein selbst inszeniertes Sammelsurium, in ein Zeitfenster der Geschichte zurückzublicken scheint.
Logische Erklärungen sucht man vergebens, dafür schwelgt man hier in einer fantastischen Bilderwelt mit zahlreichen Anspielungen und Assoziationen. Man kann in der Bilderflut eintauchen und sich überrollen lassen oder sich zu vielerlei Gedanken anregen lassen. Die Ausstellung kann ein Genuss sein, einen erschrecken oder erschüttern, gänzlich unberührt wird niemand bleiben.
Die Eröffnung findet am zweiten Advent, Sonntag den 10. Dezember in der Städtischen Galerie im Königin-Christinen-Haus statt. Ab 14.30 Uhr ist die Galerie geöffnet. Um 15 Uhr begrüßt Zevens Bürgermeister Jens Petersen die Gäste und der Kunsthistoriker Dr. Frank Laukötter aus Bremen spricht die einführenden Worte. Die Sopranistin Gesche Otten sorgt für die musikalische Umrahmung am Klavier begleitet von Rebecca Rolke.
Dieses außergewöhnliche Ausstellungsprojekt konnte Dank der großzügigen Unterstützung der Stiftung der Sparkasse Rotenburg-Bremervörde sowie dem Landschaftsverband Stade mit Mitteln des Landes Niedersachsen verwirklicht werden. Die Ausstellung „Vogelwild, die unentdeckten Gemächer der Königin Christina“ bleibt bis zum 25. Februar 2024 in Zeven zu sehen. Der Eintritt ist frei. Städtische Galerie im Königin-Christinen-Haus, Lindenstraße 11, Zeven. Die Öffnungszeiten sind Donnerstag und Sonntag sowie an Feiertagen, immer von 14.30 bis 17.30 Uhr. Für Gruppen, Schulklassen und Führungen nach Vereinbarung, Tel.: 04281 / 999 801.